
1. Die Kraft der kleinen Schritte bei Veränderungsprozessen
Stell dir vor, dein Unternehmen führt eine neue Software ein. Binnen weniger Tage flattern drei Handbücher, sechs Trainingseinladungen, zwölf E-Mail-Updates und eine 90-seitige Prozessdokumentation auf deinen Schreibtisch. Klingt chaotisch? Kein Wunder – so fühlen sich viele Mitarbeitende in Veränderungsprozessen.
Das Ergebnis? Überforderung statt Aufbruchstimmung. In der gut gemeinten Annahme „viel hilft viel“ wird selten darüber nachgedacht, was für die Menschen wirklich relevant ist.
Und dieses Szenario ist symptomatisch für viele Veränderungsprozesse in Unternehmen: Gut gemeint, aber in der Praxis oft zum Scheitern verurteilt.
Die Lösung liegt in der Kraft kleiner Veränderungen. Was der Bestsellerautor James Clear in seinem Buch „Atomic Habits“ für persönliche Gewohnheiten beschreibt, kann auch auf Veränderungen in Unternehmen übertragen werden. Denn was für individuelle Gewohnheiten funktioniert, kann auch Organisationen helfen: kleine, aber konsequente Anpassungen, die nachhaltige Veränderungen bewirken.
In diesem Beitrag erfährst du:
- Warum weniger manchmal mehr bewirkt als umfassende Change-Programme
- Wie du mit der Methode der kleinen Schritte nachhaltige Veränderungen anstößt
- Welche sechs praktischen Werkzeuge dir dabei helfen, Veränderungen erfolgreich zu implementieren
2. Warum große Veränderungsprozesse oft scheitern – und wie du es besser machst
Veränderungsprozesse sind wie komplexe Maschinen – je mehr Zahnräder gleichzeitig in Bewegung gesetzt werden, desto höher das Risiko des Blockierens.
Diese Herausforderungen verstärken sich oft gegenseitig und führen dazu, dass große Veränderungsinitiativen an ihren eigenen Ambitionen scheitern:
- Überforderung der Mitarbeiter: Die gleichzeitige Einführung zu vieler Neuerungen führt oft zu Stress und Widerstand. Beispielsweise wenn Mitarbeiter parallel neue Software erlernen, sich in veränderte Prozesse einarbeiten und zusätzlich neue Teamstrukturen bewältigen müssen.
- Change Fatigue: Veränderungsprozesse laufen heute immer schneller ab – Unternehmen müssen sich ständig anpassen. Doch Menschen haben nur begrenzte Ressourcen, um Veränderungen zu bewältigen. Wenn Unternehmen diese Ressourcen nicht gezielt einsetzen, führt das zu Change Fatigue: Mitarbeitende fühlen sich überfordert, frustriert oder ziehen sich innerlich zurück.
- Mangelnde Nachhaltigkeit: Große Umstrukturierungen verlieren häufig an Schwung, sobald der anfängliche Enthusiasmus nachlässt. Zum Beispiel werden in vielen Unternehmen nach einer Reorganisation zwar neue Abteilungen geschaffen – doch ohne klare Verantwortlichkeiten und Routinen fällt das Team bald in alte Muster zurück.
- Fehlende Verankerung im Alltag: Weitreichende Konzepte lassen sich oft schwer in die tägliche Arbeitspraxis integrieren. Was in der Theorie gut klingt, scheitert an praktischen Hürden und etablierten Gewohnheiten.
- Fehlende Beteiligung der Betroffenen: Veränderungen werden häufig top-down verordnet, ohne die Menschen abzuholen, die sie letztendlich umsetzen sollen. Mitarbeiter werden zu Getriebenen statt zu Gestaltern, was Widerstand, Frustration und innerliche Kündigung begünstigt. Erfolgreiche Transformation braucht jedoch die aktive Mitarbeit und das Commitment derjenigen, die direkt von Veränderungen betroffen sind. Nur wenn Mitarbeiter verstehen, warum Veränderungen notwendig sind, und einen Raum haben, diese mitzugestalten, entstehen echte, gelebte Transformationsprozesse.
3. Die Philosophie der Atomic Habits
Kleine Veränderungen, große Wirkung
Was sind Atomic Habits?
James Clear, Autor des Bestsellers „Atomic Habits“, entwickelte mit seiner 1%-Methode ein bahnbrechendes Konzept.
Die Idee dahinter so einfach und gleichermaßen brilliant: Winzige Verbesserungen von nur 1% mögen zunächst unbedeutend erscheinen, können aber über die Zeit exponentiell wirken.
Die Herausforderung von Veränderungsprozessen
Oft verbinden wir Veränderungen mit großen Anstrengungen – als müssten sie zwangsläufig schmerzhaft sein.
Dabei werden die kleinen, im Alltag kaum spürbaren Veränderungen unterschätzt, obwohl gerade sie nachhaltige Transformationen bewirken können.
Ein Beispiel aus dem Sport
Viele Sportneulinge begehen den Fehler, zu viel auf einmal zu wollen. Sie versuchen, sich über Nacht vom Novizen zum Meister zu entwickeln und vergessen dabei den Prozess.
Auch Leistungssportler wurden nicht über Nacht zu dem, was sie heute sind. Es erforderte Training, Ausdauer und Zeit.
Mit zu hohen Anforderungen setzen Menschen sich selbst unnötig unter Druck und das Risiko ist groß, dass sie es nicht durchhalten – die Neujahrsvorsätze lassen grüßen.
Oft verbinden wir Veränderungen mit großen Anstrengungen – als müssten sie zwangsläufig zeitintensiv sein.
Dabei werden die kleinen, im Alltag kaum spürbaren Veränderungen unterschätzt, obwohl gerade sie nachhaltige Transformationen bewirken können.
Die Kraft der kleinen Schritte
Statt gleich mit einem 60-minütigen Training zu starten, besser mit einer fünfminütigen Trainingseinheit beginnen. Dies hat viele positive Effekte, z.B.
- Leichtere Integration in den Alltag
- Niedrigere psychologische Einstiegshürde
- Höhere Wahrscheinlichkeit durchzuhalten
- Erste kleine Erfolge motivieren zum Weitermachen
Mit der Zeit etabliert sich das Verhalten so fest im Alltag, dass eine Steigerung des Pensums ohne Überforderung möglich wird.
Atomic Habits in Organisationen
Das Konzept lässt sich auch auf Unternehmen übertragen:
- Fokus auf kleine, umsetzbare Veränderungen statt großer Umwälzungen
- Kontinuierliche Verbesserung als Teil der Unternehmenskultur
- Schaffung von Routinen, die positive Veränderungen unterstützen
Kernprinzipien der Atomic Habits für Unternehmen:
- Veränderung beginnt mit minimalen, aber gezielten Schritten
- Konsistenz ist wichtiger als Intensität
- Kleine Gewohnheitsänderungen können systemische Transformationen auslösen
In Unternehmen bedeutet dies, Veränderungsprozesse nicht als einmalige große Anstrengung, sondern als kontinuierlichen, iterativen Prozess zu verstehen.
Der entscheidende Unterschied liegt also in der Perspektive: Nicht der große Sprung, sondern die kleinen, aber beharrlichen Schritte führen zum Ziel.
4. Praxis-Tipps: So gestalten HR & Führungskräfte erfolgreiche Veränderungsprozesse
4.1 Mikro-Ziele setzen
Methode: SMART und NICE
Definiere Mikro-Ziele, die auf die gewünschte Veränderung einzahlen. Weniger ist mehr: Konzentriere dich dabei auf das Wesentliche und alles andere kommt in einen Themenspeicher, damit es später nicht vergessen wird.
Bei der Formulierung der Ziele können SMART und NICE hilfreich sein. Mit der Kombination beider Methoden kommst du zu konkreten, spezifischen und messbaren Zielen mit motivierenden Umsetzungsschritten. Mehr zu SMART und NICE findest du hier in meinem Blogartikel.
Beispiel: Statt: „Verbesserung der internen Kommunikation“
Konkret: „Einführung eines täglichen 15-minütigen Team-Huddles jeden Morgen um 9:00 Uhr“
Tool-Tipp: Visualisieren und tracken Sie Mikro-Ziele mit Trello-Boards oder MS To-Do.
4.2 Schrittweise Veränderung
Methode: Kanban-Prinzip für Veränderungsprozesse
Konzentriere dich mit deinem Team auf maximal drei parallele kleine Aktivitäten, die auf die gewünschte Veränderung einzahlen. Etabliert diese als feste Routinen, bevor ihr neue einführt.
Lege ein Kanban-Board an und überlege mit deinem Team, an wie vielen Dingen ihr gleichzeitig arbeiten wollt und könnt.
Beispiel: Ein Team möchte seine Projektarbeit verbessern und führt nacheinander ein:
- Woche 1-4: Tägliche Stand-ups (15 Min)
- Woche 5-8: Wöchentliche Planungsmeetings
- Woche 9-12: Retrospektiven alle zwei Wochen
Tool-Tipp: Nutze digitale Kanban-Boards (Jira/Microsoft Planner) oder erstelle selbst eines zur Visualisierung der Aktivitäten.
4.3 Erfolge sichtbar machen & kleine Wins feiern
Methode: Retrospektiven und Erfolgs-Journaling
Genauso wichtig wie der Blick nach vorne, um das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, ist der regelmäßige Blick in den Rückspiegel. Wo haben wir angefangen und wo stehen wir heute. Denn allzu oft tendieren wir dazu, dass wir unseren Aufgaben und Zielen nur noch hinterherjagen und dabei vergessen, was wir schon erreicht haben. Hier hilft es bewusste Reflexionsphasen einzubauen, in dem über das schon Erreichte und Erfolge gesprochen werden. Dies hält die Motivation aufrecht, da die Mitarbeitenden erkennen, dass ihr Verhalten einen Effekt hat (Bandura, 1997)).
Beispiel: „Friday Wins“ – Jeden Freitag teilt das Team in einem 30-minütigen Meeting:
- Welche Fortschritte wurden diese Woche erzielt?
- Welche Hindernisse wurden überwunden?
- Was haben wir daraus gelernt?
Tool-Tipp: Führen Sie ein Team-Erfolgsjournal auf Miro oder Mural.
4.4 Routinen nutzen für Verhaltensveränderung
Methode: Habit Stacking
Verknüpfen Sie neue Verhaltensweisen mit bestehenden Routinen. Die bestehende Routine kann dabei als Erinnerung und Auslöser für das neue Verhalten fungieren. Häufig fällt uns dies leichter
Beispiele:
- Tägliche Priorisierung der Aufgaben beim ersten Kaffee am Morgen
- Jedes Meeting mit einem Check-In starten
- Letztes Aufgabe vor dem Herunterfahren des Rechners, die To Do’s auf dem Kanban-Board aktualisieren.
Tool-Tipp: Nutzen Sie Apps wie „Habitica“ oder „Streaks“ für Tracking.
4.5 Führungskräfte als Vorbilder
Methode: Leadership Shadowing
Führungskräfte und das Management-Team demonstrieren aktiv die gewünschten Veränderungen. Nicht nur die „Anderen“ sollen sich verändern, sondern auch Führungskräfte und Management-Team zeigen aktiv das neue Verhalten und Agieren als Rolemodel.
Beispiel: Eine Führungskraft möchte die Meeting-Kultur verbessern:
- Kommuniziert öffentlich ihr Ziel
- Startet selbst pünktlich und endet pünktlich
- Teilt wöchentlich Learnings aus der Umsetzung
- Lädt Team-Mitglieder zum Feedback ein
Tool-Tipp: Interne Plattformen wie Yammer oder Slack eignen sich für eine transparente Kommunikation.
4.6 Flexibilität bewahren
Methode: Retrospektiven
Retrospektiven haben sich als kraftvolles Werkzeug zur kontinuierlichen Verbesserung von Arbeitsprozessen und Teamdynamiken etabliert. Sie bieten Teams einen strukturierten Raum, um gemeinsam Erfolge zu würdigen, Herausforderungen zu identifizieren und konkrete Entwicklungsschritte zu vereinbaren.
Beispiel: Ein Team führt alle zwei Wochen eine 45-minütige Retrospektive durch:
- Was läuft gut bei unseren Veränderungen?
- Wo gibt es Schwierigkeiten?
- Welche Anpassungen sind nötig?
- Konkrete nächste Schritte definieren
Tool-Tipp: Nutzen Sie „Retrium“ oder „FunRetro“ für strukturierte Retrospektiven.
5. Fazit – Weniger ist mehr!
Nachhaltige Veränderung beginnt mit kleinen Schritten
Wie heißt es so schön: „Steter Tropfen höhlt den Stein.“ Nachhaltige Veränderung entsteht nicht durch radikale Umwälzungen, sondern durch konsequent verfolgte, kleine Schritte.
Der Schlüssel liegt darin, die wichtigsten Veränderungen gezielt anzugehen und diese mit Geduld und Ausdauer in den Alltag zu integrieren.
Entscheidend ist die regelmäßige Übung neuer Verhaltensweisen – selbst in schwierigen Zeiten (vgl. GRIT von Angela Duckworth).
Mit realistischen Zielen und motivierenden Umsetzungsschritten können sie sich natürlich in den Arbeitsalltag einfügen und sogar Freude bereiten.
Mein persönliches Beispiel für Habit Stacking:
20 Minuten Hula-Hoop-Training kombiniert mit Lesen – eine Routine, die körperliche und geistige Fitness stärkt, ohne zusätzlichen Aufwand. Genauso lassen sich kleine, effektive Veränderungen in Unternehmen etablieren.
Veränderungsprozesse müssen nicht überwältigend sein.
Mit kleinen, gezielten Schritten kannst du nachhaltige Veränderungen in deinem Unternehmen anstoßen.
Neugierig, wie das für euch aussehen könnte?
Dann buche dir gerne einen Termin – und wir entwickeln gemeinsam den passenden Ansatz.
Quellen
Abdaal, A. (2024). Feel-Good-Productivity. How to Do More of What Matters to You. Random House UK
Bandura, A. (1997). Self-efficacy: The exercise of control. W H Freeman/Times Books/ Henry Holt & Co.
Clear, J. (2019). Tiny Chanes, Remarkable Results: Atomic Habits. An Easy & Proven Way to Build Good Habits & Break Bad Ones. Penguin Random House.
Duckworth, A. (2016). GRIT: The Power of Passion and Perseverance. Simon & Schuster US